Rezensionen

Rezension "In schöner schwarzer Erde"

Benedikt Erenz in der Zeit vom 19.2.2009

Die Toten sind voller Sterne

Schön ist die schwarze Erde des Grabes: In ihren neuen Gedichten wagt sich die französische Dichterin Odile Caradec furchtlos an die letzten Dinge

Wahrscheinlich gibt es, so heißt es in einer alten indischen Schrift, nur zwei Arten von Büchern: Bücher über den Tod und Bücher über die Liebe. Manchmal auch Bücher über die Liebe, die Bücher über den Tod sind, und Bücher über den Tod, die Bücher über die Liebe sind  . . .   Zu unserer Freude hat uns Rüdiger Fischers kleiner Verlag im Wald auf den dritten Band, den neuen, diesmal nicht so lange warten lassen. En belle terre noire heißt er, In schöner schwarzer Erde.


Siebzig Gedichte über den Tod. Wie schnell wird so etwas kitschig und ranzig. Nicht hier. Caradec spürt den Tod im Leben auf, als lästigen Begleiter, beschreibt das Altern, wie es uns verändert. Die Füße, die nicht mehr warm werden unter dem dicken roten Federbett, das »Knistern der Haut«, die Osteoporose, und:

»Wie klein der Kopf wird … / Man sieht an den Schläfen das Blau der Adern / der Hals neigt sich tiefer und tiefer / er trägt einen schwächlichen Kopf /.../ die Hände sind aneinandergereihte Knochen, ... von schwarzen Margeriten / übersät /.../ Wir haben Angst, und unsre Ohren trügen uns /.../ und doch ist tief in uns drin / mehr Engel als Tier.«

. . . Caradecs wundervoll wuchernde, unförmige, ungeschlachte, sprunghafte und lodernde und leise singenden Gedichte feiern den Tod, fluchen ihn und schmeicheln ihm. Sie verhöhnen ihn und verstecken sich in flimmernden Bildern vor ihm, locken ihn, den schönen Tod, der im Französischen immer eine Frau ist: La mort.

Animistische Ahnung durchzieht diese Verse, ohne dass sie sich in naturmystischer Schwärmerei verlieren; Odile Caradec ist keine romantische Frau. Stattdessen leuchtet franziskanische Demut auf, wenn es in ihrem Fall auch Demut vor dem Sterben heißt, und wo dem frommen Franz der Abglanz Gottes erscheint in allen Formen der Natur, erscheint ihr hier nur die unerbittliche Herrschaft der Zeit.

So fröhlich wie ihre beiden anderen Bände geriet Caradec In schöner schwarzer Erde nicht, keine kleinen und großen seligen Feiern des Lebens, und doch noch viel fröhlicher, noch viel ausgelassener. Der Trauermarsch geht über in einen flotten Totentanz, der feierliche Abgesang fordert verstohlen zum Mitschunkeln auf, das weihrauchwimmernde Requiem wird zur Operette. »Das Haus umschließt die Toten, die Lebenden / Es ist ein Prachtsarg voller Wonne.«

. . . Odile Caradec ist ein herrlich irrlichterndes, ein radikal furchtloses Buch gelungen. Ein ungefüges, monströses Buch der vollkommenen poetischen Freiheit und Reinheit. Allein – sie weiß, an wem sie sich zu messen hat. Denn am Ende gibt es nur einen Dichter, den »einzigen wahren Dichter«: den Tod.

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Rezension: Katzen, Damen, Funken

Die ZEIT vom 4.Mai 2005

Eselig und eselselig

Die wunderlichen Gedichte der Odile Caradec  (von Benedikt Erenz)

 

Einmal kam so ein Buch, wie manchmal so ein Buch kommt, nicht aus dem Silo der Konzerne, sondern von einer fernen Insel zum Beispiel oder aus dem Gebirge oder aus der Tiefe des Waldes. Verlag Im Wald, das stand da tatsächlich drauf, Odile Caradec hieß die Autorin, und es trug den Titel Vaches, automobiles, violoncelles - Kühe, Autos, Celli, nur ohne Kommas.
Es hatte ein sonderbares Querformat und war voller sehr bunter, fröhlich vertaumelter Bilder, Claudine Goux hieß die Illustratorin, und man las die wunderlichsten Verse, über Kühe eben, über Celli und Autos. Schon diese Kombination verwirrte, und überhaupt war alles ganz einfach und ganz verwirrend zugleich in Odile Caradecs Gedichten. Naiv und surrealistisch ging es hier zu, morgenhell und dämmrig, alles wie mit klarem Traum betaut. Unvergesslich.

Wer war, wer ist das? Jahrgang 1925, in Brest, in der Bretagne geboren, viele Jahre Bibliothekarin am Lycée Camille Guérin in Poitiers, außerdem Kammermusikerin. Das konnte man einer Notiz des Verlages entnehmen, und das steht jetzt wieder hinter drin in diesem zweiten Band mit Gedichten von Odile Caradec, der im Verlag Im Wald erschienen ist; Verleger Rüdiger Fischer hat alles selbst übersetzt. Das französische Original steht aber gleich daneben, und man kann hier und da nachprüfen, so weit des Lesers eigenes schwächelndes Französisch trägt, dass Fischer recht wörtlich übersetzt hat, vielleicht manchmal etwas zu wörtlich.

Aber der Zauber! Den hat er doch bewahrt. Denn eigentlich sind das ganz rohe, unbeholfene Gedichte, sind das ganz schlechte Gedichte. Ja, ganz schlechte Gedichte. Aber wie raffiniert, wie verblüffend sie sind, man kommt nicht davon los. So ging es einem mit den Kühen, den Autos und den Celli, und so geht es einem jetzt wieder mit Chats, dames, étincelles - Katzen, Damen, Funken.

Wieder scheint alles durcheinander zu tanzen und zu stolpern, randlos, punktfrei, und wieder glänzt alles zart und ein bisschen somnambul wie mit Traum überzogen. Bei dieser Zeile kommt einem Else Lasker-Schüler in den Sinn, bei jener Jesse Thoor, Robert Walser vielleicht.

Aber Odile Caradec, gebraucht natürlich ihre eigenen Künste, den Kreis um den Leser zu schlagen. Grob skizziert sie ein Bild, lässt Assoziationsranken daraus wuchern, die sie suggestiv rhythmisiert und wieder abbricht, ins Ungefähre verstreut: "Die Stadt durch die blühenden Mandelbäume sehen / zuerst den Nebel sehen /dann die gedämpften Häuser , dann den Atem der Bäume / dann meinen eigenen Atem, dunstig, körperlich / Hauch vom Grund der Zeiten her / Hauch, den ich mit Bienen und Ameisen teile / mit Maulwürfen, Schnecken, und mit leichten Tieren ..."

In ihrer Küche steht der "Wandschrank voller toter Seelen und Bangigkeit"; da bringt "der Heilige Geist das Kupfergeschirr zum Glänzen"; da singen die Linsen, Thymian, Lorbeer - auch die Äpfel im Regal, "und in den Ritzen der so langen Nacht / sieht man ein starkes Leuchten / die Zweige werden sanft / schwarz und sanft / wie die Finger der Toten" (Die Hündin Vanille riecht den Herbst").

Die großen Ohren des Esels "als Schattenspiel vor dem Mond" preist sie, und "das Grau des Himmels berauscht" sie, wie alle Melancholie Rauschzustand ist. Dann aber wechselt sie in die Groteske: "Vergiß nicht o Frau / deinen melancholischen Hintern / gründlich mit Pulver zu scheuern // Er glänze kunstvoll / im aufsteigenden Nebel!"

Es wuchert im poetischen Unkräutergarten der Odile Caradec aus allen Winkeln. Zart schlingen sich die Winden, bis sie plötzlich ihre großen weißen Blütentrompeten blasen. Ein manieristisches Spiel mit dem Groteken und Magischen, konkav, konvex. Faunisch und eselig. Eselselig, das auch, und vor allem: unvergesslich.

 


Rezension "Der Himmel, das Herz"

Volker Frick auf buchkritik.at am 7. Februar 2012

... Spätnachmittag auf dem Sofa am Fenster gesessen. Las und las, hielt inne und las weiter, las, und irgendwann blickte ich auf, sah aus dem Fenster und es war dunkel, und als meine Augen zu den Zeilen zurückkehrten, dauerte es eine geraume Weile bis sie das Restlicht fokussiert hatten, und ich blätterte um: 'Die Dichtung in der Dämmerung' der Titel des Gedichtes, was mir schon den Atem nöthigte, die erste Zeile: 'Gedichte lesen im schrägen Herbstlicht'. Danach legte ich das Buch erst einmal zur Seite. Odile Caradec ist ein Solitär – „Ich bin ein schwarzer Diamant“, letzte Zeile eines titellosen Gedichtes.

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