Das Feuer verlangt nach uns - Gedichte von Odile Caradec


Können Gedichte duften? – Ja, sie können, nach „königlichem" Knoblauch zum Beispiel, nach Hühnerbouillon, nach allen „Üppigkeiten der Kochkunst", oder nach gebackenen Renetten mit Zimt, wodurch die „streunenden Seelen", die „früheren Bewohner des Planeten Erde" in Trance geraten. „Beim Schälen der Kartoffeln entwerfe ich meine Gedichte" schreibt Odile Caradec, „ich bin bemüht, sie nahrhaft zu machen". Das sind sie, diese Gedichte, äußerst bekömmlich, man verzehrt sie vergnügt, „von möglichst krausem Salat begleitet". Auch fehlt der Wein nicht, sehr französisch, aus der „von den Jahren gehätschelten Flasche".


Darf man das, darf man den Herd besingen ? Sind Kühlschränke, Staubsauger, Mülleimer (der den schönen Namen Rossignol, Nachtigall, trägt), Hühnerfrikassees literaturfähig? - Sie sind es, man darf das, wenn man es wie Odile Caradec tut. Sie schreibt „mit ihrem Leben und um ihr Leben" (Christa Wolf). Odile Caradec besitzt „einen Geist, der imstande ist, die feinsten Gerichte zu würzen".

Und darf man über Leichen schreiben? Ein ganzes Buch lang über Tod, Alter, Särge, das Sterben? – Darf man die Paradigmen der Zeitgenossenschaft über den Haufen werfen? – Als da sind: die Todesfaszination einerseits ( die obligatorischen täglichen Fernsehtoten, auch Herrn von Hagens makabre Arrangements), die Todesphobie andererseits (der kollektive Fitness-, Jugend- und Schlankheitswahn) und in ihrem Gefolge das Brüchigwerden, ja das Abtrünnigwerden der Wirklichkeit. Caradec ist weder fasziniert noch geschreckt vom Tod, sie lebt mit ihm, und sie lebt mit Bäumen, Tieren, mit Musik, ihrem Cello, das sie spielt, mit den Dingen ihrer Wohnung, wahrscheinlich lebt sie ziemlich einsam, Menschen kommen in ihren Gedichten wenig vor. Ihrem Zahnarzt setzt sie ein Epitaph, einem jungen Totengräber, einer Hündin und der „Nachtigall im Großraum Paris". Und es gibt ein – in Worten ein – „politisches" Gedicht, zumindest kann man es als Umweltklage lesen, einen Nachruf auf den Schnee, der beginnt: Was soll ohne Schnee aus uns werden/ ohne dies stille Pulver/....../ohne diesen Mantel unserer Kindheit...//. Ein kindlich offenes Ohr hat sie, mit über achtzig Jahren ist sie nicht schwerhörig, sondern offenbar „leichthörig" geworden. Ich glaube, selbst Sterben kann anmutig sein/ die Toten sind voller Sterne/..............(neben jedem Sterbenden tänzelt ein strahlend weißes Pferd). Darf man denn im Angesicht des nahenden Todes heiter sein? Gelassen? Sogar frech? Laßt mich, ich zerfalle zu Staub/ geht zur Seite, ich stehe in Flammen/ mein Bett ist eine Funkengarbe/ von allen Banden werd ich frei sein/ das Alter macht sich auf Zehenspitzen davon/ in alle Richtungen streck ich die Zunge raus// Lebt wohl, ihr kennt mich ja gar nicht/ keinen Grabstein, keine Spur/ weder Träne noch Hut. Die Zunge, die feurige, in alle Richtungen herausgestreckt - das ist doch die Höhe, denkt man, wo bleibt denn hier die Pietät? – Benedikt Erenz in „Die Zeit" wundert sich etwas über den Hut in dem Flammen- und Todesgedicht. Welcher Hut, fragt er. Ich weiß es: sein schwarzer aus dem Schrank, für die Bestattung von Frau Caradec, den er ja vielleicht nicht besitzt und nun auch nicht anschaffen muss, denn sie will ihn nicht. Musikanten will ich/ Dichter will ich/........ Des weiteren will ich/ im Violoncello ruhn/ meinem Sarg mit den schlanken Hüften/der so oft sang, an meinen Sch0ß gepresst/...... – Unangestrengt sind diese Texte, durchsichtig, klar:


Die Welt hören
Gesichter und Hände hinter den Augen haben

Die regenschweren Rasenflächen
die Sterne, die Erde
man drückt sie an sein Herz
sie sind der sanfteste Mantel der Welt
ein triefender
funkelnder
elfenzarter Mantel
Ein durchsichtiges, zerbrechliches Weltall
es kann in die dumpfe Finsternis stürzen
jeden Augenblick

Unnachahmlich ist das, der Ton eines souveränen Ich inmitten eines durchsichtigen, zerbrechlichen Weltalls. Altersweisheit, keine zeigefingerreckende, augenrollende Früher-war alles-besser-Philosophie, sondern echte, goldene, märchenbunte Weisheit, die sehr leichtfüßig daherkommt, in freier Rhythmik, reimlos, punktlos, in kurzen wie auch in flüssigen langen gesprächigen Zeilen, von Rüdiger Fischer sehr treu und schön ins Deutsche übertragen. Sie treibt keinen Aufwand mit Wortkonklusionen oder Enjambements, es ist eine Sprache ohne Verrenkungen, aber mit einem sechsten spielerischen Wortsinn, die Worte sind mit ungeheurer Sorgfalt gewählt, wirken aber mühelos wie Mozart.

....... Das Gedicht ist ein irrer Baum, es riecht nach Meer,
nach Mimosen, nach Sauberkeit
Man nimmt es in die Arme
man probiert es wie eine Geige aus
und tief im Bett
formt man es nahe am Herzen
um es auf die kahlen Äste abzustimmen
den Nebel und alles, was in dieser Welt gegeben wird......

Gestimmt, abgestimmt, gefärbt, gewürzt sind diese Gedichte, durch die Nächte getragen, sie klingen schön, sie verwundern durch ihre Einfachheit und ihre Schwerelosigkeit. Sie sind Preisung, Hymnus auf das Leben und auf den Tod, aber ein ganz unpathetisch vorgetragener. Ist Caradec eigentlich ein religiöser Mensch? – Vielleicht, durchaus, Der Heilige Geist wacht über die Küche/ er bringt das Kupfergeschirr zum Glänzen.....- das ist scherzhaft vorgetragen, aber ganz ernst gemeint. Und vom Dichten hat sie eine hohe Meinung: Ein weißer Körper denkt in der Nacht/ das erfrischt die ganze Erde/ vermehrt die Substanz der Welt.......Gedanken also, Worte, als schaffende Wirklichkeiten, das ist nicht nur so hingesagt. Odile Caradec ist eine Essentialistin, die Worte sind eine Essenz der Welt, Welt ist enthalten in ihnen. Hilde Domin kommt einem in den Sinn :"Meine einfachen Worte riechen nach Mensch......." . Die große unvergessene Dichterin war es, die forderte, man müsse Mut haben, gegen den Trend zu gehen (in "Wozu Lyrik heute"), der Lyriker, die Lyrikerin solle „Stimme, die die anderen aufruft, am Leben zu bleiben" sein. „Jeder Lebende erfährt es, zumindest in den hochindustriellen Ländern, dass heute schon die Halb- und Dreiviertelstoten die Mehrheit sind." Gegen den Trend ist Lyrik heute überhaupt; was einmal das Herz der Literatur war, ist nur noch eine Randerscheinung. Der heiße Brei von Romanen aller Coleur, von Sach- und Ratgeberbüchern quillt aus den Buchhandlungen, die ja auch immer mehr Warenhäusern ähneln, sie werden immer riesiger, die Lyrikregale hingegen immer schmaler, wenn sie nicht schon an Magersucht gestorben sind. Die Medienleitkuh Fernsehen hat für Gedichte nichts übrig, und die weitgehend gleichgeschaltete, „verdinglichte" (Domin) Menschheit kauft also die für sie vorgesehenen Romane. Dennoch, irgendwo schlägt das Herz, zum Beispiel in Poitiers, dem Wohnort von Odile Caradec. Selten gibt es bei ihr einen dunklen Ton wie diesen: ..... Und wir, die Gott in den Sternen suchten/ werden in Dunkelheit und Schweigen getrieben// Die Stadt ist kein Ort mehr, wohin man gehen kann/ Stadt, o schwarze Amphore! – Es bleibt offen, ob sie hier nur den Herbst meint oder noch etwas anderes.

Odile Caradec besitzt zweifellos „die Macht des Wortes und des Bildes ...[in] voller Freiheit" (Edith Södergran). Das wahrhaft virtuose Spiel mit Worten und Bildern lässt einen vollkommen vergessen, dass hier etwas „gemacht" wurde, nicht einen Augenblick spürt man etwas von Künstlichkeit oder Pose. Es wirkt einfach echt, gewachsen, manchmal ein wenig kühn gewachsen, ein bisschen grotesk. Aber diese Dichtung ist weder konstruiert, verschraubt noch hermetisch. Manches wirkt einfach, aber nichts naiv, manchmal geradezu trocken, wie ein plötzliches: der Sauerstoff wird siegen. Man stellt sie gern an die Seite anderer Dichterinnen wie Sarah Kirsch, Eva Strittmatter, Erika Burkart. Und ihre reiche Altersproduktivität erinnert an Rose Ausländer. Für die Lektüre braucht man keine Voraussetzungen außer dem Lesenkönnen, das Ich der Gedichte ist nicht maskiert oder gar eliminiert, man kann mit ihm in ein Gespräch eintreten, unmittelbar. Beim Schälen der Kartoffeln.

Dem Verlag im Wald/ Éditions En Forêt, einem mutigen tapferen Schneiderlein der Verlagslandschaft, fast ausschließlich mit Lyrik in bi- und trilingualen Ausgaben befasst, ist es zu danken, dass wir Odile Caradec auf Deutsch und Französisch lesen können. Mit dieser Dichterin hat er seine Prinzessin bekommen, wir müssen es nur noch bemerken. Er hat den beiden Büchern zauberhafte Bilder von Claudine Goux beigegeben, ein Glücksfall, sie unterstreichen den surrealistisch-schwerelosen Charakter der Texte. Über die Dichterin ist nicht mehr und nicht weniger zu erfahren (außer, man liest sie), als dass sie 1925 geboren ist, Jahrzehnte als Bibliothekarin gearbeitet hat, Kammermusik spielt und in Poitiers lebt. – Lesen wir sie, bevor sie diese Erde verlässt! Damit es uns nicht geht wie jenen, die angestrengt in die andere Richtung starren, während hinter ihnen die Sonne aufgeht (ein Bild von Erhart Kästner).


Hier ruht meine kleine Schwester, die Nachtigall
sie weckte mich um Mitternacht
das Mondlicht rundete die Erde

Beim Gesang der Sternschnuppen
beim Atem des Meeres in den Tritonshörnern
hüpfe ich vor Freude

 

Doch nichts kommt deinem Singen gleich
es weckt alle Abtrünnigen der Erde
mit leisen Schritten
mit Schritten weißen Mondscheins

 


Christiane Gerber- Freund, gekürzt erschienen in „Die Drei" 12/09)